Tourenbericht
2021
Drei Schwestern
von
Jan
Sechzehn Meilen nördlich der Regamündung bei Mrzeżyno übernehme ich die Wache von Alex. „Kurs 350°. Gute Wache!“
Ich wünsche: „Gute Ruh!“
Keine fünf Minuten später sagt Werner, unser Skipper, zum zweiten Mal, fahr nicht so tief.
Der Wind kommt aus Südost. Raumschots. Ich schaue zum Verklicker, dass es nicht zu sehr von achtern weht. Die Kompassnadel schwimmt taumelnd auf 333 oder so ähnlich. Nach steuerbord! Am grauen Horizont suche ich einen Ankerpunkt. Grau in Grau. Zwei runde, dunkle Wolken glotzen mich an. Ich fixiere sie zwischen Want und Mast, unterhalb der Saling. Am Sprayhood hängt ein GPS-Kompass, der dem widerspricht, was ich aus der Glaskugel lese. Ich lege Ruder und wundere mich über die Reaktion der Salona 40, unter der beständig Wasserberge hindurchrollen. Sie packen das Heck an der Steuerbordseite. Um meine Wolkenaugen vor dem Bug zu halten, lege ich das Ruder backbord, der Rumpf wälzt sich in Andeutung einer Rückwärtsrolle übers Wasser. Er ließe sich gehen, wenn ich nicht mit Kraft am Rad nach rechts drehte.
Allmählich pendelt sich das System ein. Fünf Blicke zum Horizont, einen in die Glaskugel, wieder fünf Momente für den Horizont, dann einen nach oben für den Verklicker, Blick frei geradeaus, doch ein Auge schielt schon auf den GPS-Kurs. Und der Körper vollführt einen Tanz am Rad gegen die Welle. Erst gegen sie und je mehr der Rhythmus zum Mantra wird, mit ihr. Das System ist im Gleichgewicht. Werner und Alex, im Rumpf der Yacht, werden in den Schlaf gewiegt, von Wind & Welle, deren Gewalt ich mit dem Ruder bezwinge ...
Bis sie kommen, die drei Schwestern. Sie kommen regelmäßig. Sind es drei von zwölf oder ist es die dreizehnte, vierzehnte und fünfzehnte von wie vielen Schwestern? Ich zähle unablässig und komme durcheinander. Und genau dann kommen sie, drei besonders große, eindrucksvolle, ja, schön zu nennende Wellen, die mich ... nein nicht aus der Bahn werfen, aber vom Kurs abbringen.
Kein Snelliussches Brechungsgesetz, auch kein Huygenssches Prinzips kann mir diese Phänomene erklären. Bei näherer Betrachtung ist jede Welle einzigartig. Und wer will mir sagen, dass diese die Erste und jene die Dreizehnte ist? Jeder Laib ist von einer Masse geformt, die kein Zauberlehrling aufzugießen vermag. Und Wind modelliert jede der Schwestern, haucht nicht, sondern bläst dem Wasser Eigenleben ein und schöpft aus dem Laib den Leib, der zu einem fernen Ziel getrieben wird, an dem er stöhnend brechen soll. Aber noch wandert die Welle im Heer und Meer der Schwestern. Und wurde sie vom Wind erkoren, reckt sie den Kamm empor, fasst vor und hinter sich die jeweils nächste Schwester, lässt sich den Scheitel mit Gischt frisieren und gebärdet sich voll Übermut.
... das tut dem Schlaf der Crew nun gar nicht gut.
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