Tourenbericht
Schottland
von
Jan
Stark
gekürzte Fassung meines Bordtagebuchs. Persönliche Dinge
und die Gedanken an Franziska, die ich zuhause zurücklassen
mußte, sind nur durch Punkte angedeutet.
Auf
Catharina fuhren André, Anja, Alex, Ralph-Peter, Thomas,
Katja und ich.
Rostock (Gersdorf) - Edinburgh - Cuxhaven
Sonnabend
- für 1500 Euro Vorräte gebunkert. Abends mit Schlauchboot
über die Warnow in Anjas Lieblingskneipe mehrere Biere getrunken.
Am folgenden Tag, Segellatten zuschneiden, Entlüftung vom
Kacketank reparieren
17:00 Uhr endlich los!
Im Mittelpunkt der gemeinsamen Reise stand vor allem das Essen.
Zu viele Genussmenschen an Bord. Gutes Essen gute Stimmung.
Warnemünde noch einmal fest gemacht. Mitten im Sonntag, mitten
im Leben, mit einem Gemisch aus Farben, Lauten und Gerüchen.
Nach vergeblichem Versuch Diesel zu bunkern, Leinen los. Und Leucht-
und Kühlturm wurden kleiner und kleiner. Vor uns die ganze
Welt. Sieben Zehntel ihrer Oberfläche sieht so aus. Mit launischem
Gesicht. Gestern zeigte sich das Meer von der besten Seite. Volle
Segel, eine Brise von 3-4 Beaufort, blitzeblau nur einige Zierwolken,
wegen des Kontrasts. Als ganz langsam und sehr schräg die
Sonne ins Meer tauchte, gab es Bohnensuppe und Salat. Anja und
ich waren zur Hundswache von 01 bis 04 Uhr eingeteilt.
Der Kosmos ist nicht nur da oben. Er stößt hier aufs
Meer. Und hier ist er nicht lautlos und schweigend. Du hörst
ihn atmen und manchmal leise stöhnen. Und als die Riesensternschnuppe
fiel, hörte man ein Lachen, vielleicht über meinen Wunsch.
So eine Sternschnuppe habe ich auch noch nicht gesehen. Über
uns zerbarst sie und zog dann einen Strich über den Himmel,
wie ein Streichholz auf der Reibefläche. Irgendwo neben uns
musste es eigentlich plumpsen.
Endlich bekam ich mit, von wem das Lachen herrührte. Aus
einem Halbschatten heraus sah mich der Mond an und freute sich.
Smiley, Pfannkuchen! Von rechter Hand wanderte er langsam, grinsend
hinter meinen Rücken. Vor mir der Polarstern. Nach Norden,
nach Norden! Um vier ließen wir die Morgenwache schlafen
und gönnten uns den Sonnenaufgang. Ach, Du liebe Morgenröte!
Die Wolken erst purpurn, dann kaminrot, bronze, golden, silbern
und dann kam sie
.
Als Geschirrgeklapper mich weckte, benetzten Tropfen das Luk und
wir waren kurz vor Dragor, wo wir noch einmal tanken mussten.
Über Kopenhagen hängt ein bleierner Himmel. Das Wasser
scheint zäh wie Quecksilber und mit ihm fließen wir
langsam dahin. Der Wetterbericht verheißt mehr.
Wir Sieben harmonieren wunderbar. André und Alex sowieso,
Ralf und Thomas passen voll dazu und Anja und Katja sind schon
was anderes, aber bereichernd - nur, man kann nicht ungehemmt
pupsen
.
Dienstag
Hast Du das Knarren gehört? Die Winsch und der Block krächzten
beachtlich. Der Bolzen des Schekels vom Lasyjack ist aufgegangen,
deshalb ist das Ende bis zur zweiten Saling durchgerauscht. Nicht
schlimm, aber einer musste hoch, das Ende einfangen. Im Hafen
war ich ja schon oben, auf 17 Metern, aber auf See das letzte
Mal vor zwei Jahren (damals, um nach Treibeis Ausschau zu halten).
Klein ist das Boot aus Dachrinnenhöhe. Ich klammerte mich
und ließ mir Saugnäpfe an Händen und Füßen
wachsen, als wieder unten die Spannung abfiel, fingen die Kniescheiben
ganz leicht an zu zittern. Aber das ist schön! Von dort oben
schaust du noch mal so weit. Und wäre die Erde nicht eine
zur Kugel gekrümmte Scheibe, so hätte ich im Süden
die Liebste gesehen, nach der mein Herz ständig Ausschau
hält
.
Bis eben hatten wir das beste Wetter, doch jetzt macht es "zing",
Sonne weg. Gleich kommt Regen.
Dienstagabend
Durch die Wanten bläst eine Sechs. Doch es schaukelt nicht.
Wir sitzen im Hafen, mit vier Leinen festgezurrt. Und frisch geduscht.
Eigentlich wollten wir Rostock - Edinburgh nonstop zurücklegen.
Und dann waren wir noch in Warnemünde, einmal in Dragor an
der Tankstelle und nun liegen wir hier in Skagen und schauen nach
dem Wetter. Skagen ist die nördlichste Spitze Dänemarks.
Vielleicht gibt es ja zwei Wochen Sturm und wir verbringen den
Urlaub hier. Für den heutigen Tag und natürlich für
die Nächte hätte sich die Reise schon gelohnt. Mit 8
kn und relativ niedriger Welle sind wir von Anhold hierher geritten.
Am Steuer stehst du mit einem kurzen und einem langen Bein, um
ca. 45 Grad Schräglage auszugleichen. Die salzige Gischt
benetzt das Gesicht und leckst du sie, so schmeckt sie nach Träne
.
Mittwoch
Ohne dieses Buch ginge mir das Gefühl für die Wochentage
verloren
.
Mitt- nein, Donnerstag
Mir ist schlecht. Solche Wellen habe ich erst einmal gesehen.
Damals sind wir vor dem Wind gelaufen, doch gestern ging es den
ganzen Tag gegenan. In den letzten 24 Stunden haben wir 180 Meilen
gemacht um 40 Meilen nach Westen zu kommen. Die Sachen werden
nicht mehr trocken, nicht etwa weil es regnen würde, nein,
weil das Boot die bis zu vier Meter hohe Welle bricht. Leckt man
sich die Lippen, möchte man gleich einen Schluck nachtrinken.
Doch nun geht's. Der Wind flaute über sieben auf 4,5 Stärken
ab. Sonst hätte man auch nicht schreiben können. Nur
in der rechten Wade bekomme ich einen Krampf. Mit dem rechten
Bein stütze ich mich an der Spüle ab, damit ich nicht
von der Bank am Kartentisch rutsche.
Wir befinden uns zwischen der Kehle des skandinavischen Tigers
und der Nordspitze Dänemarks. Wir verlassen soeben die "Jammerbugt".
Ja und es nieselt. Diffuses Licht. ...
Wichtige Entscheidungen sind zu treffen. Eine: Geh ich pullern
oder nicht. Das Wetter ist nicht danach und beide Damen sitzen
in der Plicht. Aufs Innenklo geh ich nur zur allergrößten
Not. Aber die Entscheidung kann ja noch reifen. Das sind schließlich
die Fragen, die im Mittelpunkt stehen. Die Hauptmühsal ist,
raus aus den
Eben musste ich meiner Schwester eine Flasche Wasser und zwei
Riegel der 300 g Schokokeks von Milka hinaus in den Kosmos reichen.
raus aus den Klamotten, rein in die Klamotten. Das ist hier
unter Tage gar nicht so einfach. Die Sachen sind feucht und verschließen
sich. Und bei Windstärke 4,5 fühlst du dich schon wie
in einem Würfelbecher. Demgemäß sind auch die
Geräusche an Bord. Da schlägt das Zwiebelnetz gegen
die Wand, hier rollt eine Flasche in der Spüle hin und her.
Die Zwieback-Familienpackung vollführt einen tapsigen Bärentanz.
Der Herd schaukelt gespenstisch. Und alles was hängt, Leinen,
Jacken, das Fernglas, hängt schräg. Und die Bücher
nicken hin und her, als würde der in ihnen wohnende Geist
erweckt.
Zu dem Spaziergang in Skagen wollte ich noch ein paar Gedanken
nachtragen. Vorgestern Abend gingen wir durch den Ort spazieren.
Gelbe niedrige Häuser. Ein Boulevard. Selten halbstarke Autos.
Touristen zu Rad: Nordisch versandet. Krüppelkiefer, Sanddorn.
Und wir kamen bei den Dünen raus. Weißer Sand. Und
gelangten in den Fischereihafen mit angeschlossener Verarbeitung:
Ein Areal, fünf Fußballfelder groß, rechtwinklig
mit Hallen bebaut. In den Karrees Lkw und Gabelstapler unterwegs.
All das mit einer Glocke aus Fisch- und Fäulnisgestank überstülpt.
Es war der interessantere Teil des Spaziergangs. Der Ort war wie
viele andere auch. Aber dieser Gang hinter die Kulissen, mit Blick
in die Konservenfabrik. Sehen, wie andere Leute arbeiten! Und
was wir essen! Diese Atmosphäre zwischen den Quadern, diese
emotionslose Sachlichkeit in Nachbarschaft zum Meer, das lebt,
das Stürme kennt, das uns auch mit Fisch beschenkt. Was für
ein olfaktorisches Ereignis. Meine Nase ist noch immer sensibilisiert.
Deshalb gehe ich auch lieber an die Wante und mache über
den Seezaun, als dass ich die Toilette benutze. So, jetzt ist
es so weit.
Situationsbeschreibung: Das Sauerkraut, das von vorgestern noch
übrig war, hat sich auf der Kombüsenwand verteilt. So
richtig appetitlich sieht auch der Rest im Topf nicht aus. Außer
Ralf (dem Vollmatrosen) und mir (toi, toi, toi) haben nun schon
alle gekotzt.
Warum tut man sich das an? Wie gemütlich wäre so ein
Fernsehabend. Tatort mit Manne Krug oder so, und dann trinken
wir noch einen Tee, kuscheln noch ein bisschen, ehe uns der Schlaf
in ungefährliche Abenteuer mitnimmt. Irgendein Philosoph
(Schlegel, Schleiermacher) sagte einmal, dass das, was wir Realität
nennen, dazu diene, dass wir träumen können, und die
Träume dazu dienten, den Geist zu realisieren. Also das Leben
ist profan, dient der Reproduktion wie bei jedem anderen Organismus
auch. Aber durch das Träumen wird der Mensch zum Menschen,
und im Traum realisiert er sein Schicksal.
Aber wir hier suchen uns zu beweisen. Wir wollen es wirklich und
exklusiv. Katja spricht schon davon, dass sie das nicht braucht
und in Kristiansand von Bord gehen will.
Noch knapp zwei Stunden bis dort.
58°03'N; 08°14'E
Die tiefste Stelle haben wir schon passiert. Ich habe mich über
die Bordwand geneigt, hinab geblickt und ließ ein silbernes
Ringlein fallen. Glitzernd ist es meinen Blicken entschwunden
und drang ein in eine Welt geheimnisvoller Wesen. Nach Minuten
wird es irgendwo, unerreichbar liegen, 700 Meter unter uns. Ach!
Freitag - Ruhetag
Zwei Stunden Segel genäht. Stiche nicht gezählt
.
Katja wird von Bord gehen und erörtert gerade die Verbindung
nach Berlin
Sonnabend
Am Sonnabend gab es einen Sonnenmorgen. Gestern Abend fuhren wir
unter Maschine in einen Fjord, warfen an dessen Ende den Anker
in den tiefen Grund, kochten ein prächtiges Essen, tranken
ganz viel Wein unter einem Himmel mit Sternen und Mond, fingen
Kabeljau, dem wir dann doch das Leben schenkten
Und heute Morgen, am Sonnabendmorgen hatten wir im malerischen
Fjord einen Sonnenmorgen. Da musste ein jeder ins salzige Wasser
springen, sogar ich. André und Alex mutierten dann zu schwarzen
Fröschen, Thomas ersetzte eine verlorengegangene Positionslampe,
Anja und ich wechselten uns beim Segelnähen ab. Ruhe, Schönheit,
Orangensaft.
Du
gibst meinen Gedanken eine Richtung
Du
nun hat Sinn die Dichtung
Du
mit meinen beiden Augen
seh' ich für uns zwei
Du
wo ich auch hinfahr'
Du bist dabei
In einem solchen Moment hätte sich der Faust dem Teufel
überlassen. "Verweile doch, du bist so schön!"
Ich halte die Luft an, in Betrachtung dieser Landschaft. Beim
Schwinden der Sinne werden sie hellwach. Man nimmt nicht mehr
wahr, man wird von allem beschenkt. Es strömt herein zum
Überlaufen. Eindruck, Zweidruck
zum Ersaufen! Längst
nicht mehr Herr meiner Sinne, ich spinne. Doch mein Herz schlägt
immer noch. Doch, doch, doch
Sonntag
Wir verlassen Norwegen, Kristiansand. Dort leben Menschen, die,
egal ob sie einen Kinderwagen, eine Schubkarre schieben oder ein
Auto fahren, eine Hand am Ohr haben. Dieses nordische Volk ist
in der Mutation zur Informationsgesellschaft fortgeschrittener.
Wo wird das hinführen? Wird uns ein dritter, ein Handyarm
wachsen oder wird man das Problem technologisch, durch Implantation
lösen? Sonst haben sie aber einen modernen und netten Eindruck
hinterlassen. Ja, nach diesem relaxten Tag im Fjord haben wir
Katja abgesetzt, der es an Bord zu eng war. Irgendwie schade,
aber wenn es für sie in Ordnung war. Anja ist nun die einzige
Frau an Bord, aber solange Alex kocht und André mir ab
und zu ans Bein fasst, ist auch die Geschlechterfrage nicht so
relevant.
Wir queren die Schären. Wenn man genau und geduldig hinschaut,
sieht man ab und zu zwischen Steinen, Kiefern und Heidekraut kleine
Wesen hervorspringen. Sie stellen sich auf die Zehenspitzen, halten
eine Hand über die Augen, schauen uns springen wieder weg.
Hier in Südnorwegen sind die Trolle recht klein, aber abends
im Wind hat man sie singen gehört. DU zweifelst? Die Welt
ist ein einzig großes Rauschen. Nicht nur akustisch, auch
in der optischen und in allen anderen Dimensionen. Aus diesem
unendlichen Angebot schneidet man sich das heraus, was man zu
sehen gelernt hat. In Wahrheit gibt es alles.
Montag - Halbzeit
Du, Segeln ist auch eine erotische Sache. Sind jedoch Frauen an
Bord, bekommt es noch eine sexuelle Dimension. Anja hat mich darauf
gebracht, indem sie ganz offen über ihre Gefühle und
Empfindungen sprach
Es ist nicht dasselbe wie die Herrenpartie
vor einem Jahr. Da fehlte diese Dimension eben ganz.
Ich rieche nach stockiger Feuchtigkeit und fühle mich stopplig
an.
Die letzte Nacht war wundervoll. Als die Sonne schlafen ging blinzelten
mir all ihre kleinen Schwestern zu. Ein nicht zu kühler Wind
wehte aus Nord und schaukelte das Schiff mit gut acht Knoten durch
die Wellen. Angeregt durch die schäumende Gischt und wohl
von den funkelnden Sternen, begann das Plankton zu leuchten. Wie
kleine silberweiße Perlen glühten es links und rechts
vom Boot auf.
56°59'N; 04°06'E. Wir sind fast mitten auf der Nordsee.
Na, das Segeln und dieser Törn ist schon ein Extremfall,
aber bei aller Schönheit und Intensität überhaupt
nicht zu vergleichen mit einem Sonntagmorgen unter einem Berg
von Bettfedern. Weißes Segel, weißes Laken - die reinsten
Vergnügen!
Bohrinseln passiert, kein Handyempfang.
Etwa Dienstag?
Die Gischt luminiert in der abnehmenden Finsternis. Noch ist alles
in tiefstes Grau gehüllt. Nur die Nymphen werfen dieses perlende
Brausepulver. Langsam, unwirklich, von allen Seiten her hebt sich
die Dämmerung. Das Grau verliert an Schwarz. Die Konturen
von Wolkenbändern werden wahrnehmbar. Ich zähle fünf
Finger an meiner Hand. Der Horizont wird als Linie sichtbar, manchmal
bäumen sich halbstark Wellen über ihn hinweg. Das Wasser
bekommt im stärker werdenden Licht ein Relief. Wie Atmung,
nicht so regelmäßig als dass es mechanisch klänge,
hört man das Schiff durch die Welle brechen. Dazu ein Wimmern
in den Wanten. Nimmt man diese Geräusche fort, so herrscht
Stille, Leere. Bis diese plötzlich gebrochen wird. Ganz fein,
Backbord. Und da, wo das leise Glucksen herkam, senkt sich ein
tiefgraublaues Stück Rücken wieder hinab in die Tiefe.
Drei Tümmler tummeln sich unter uns, vor uns. Sie scheinen
mit dem dicken Leib der Katharina zu spielen, die sich stoisch,
träge sich hin und her wendend, aber immerhin mit acht Knoten
durch die Welle wälzt. Den Dreien macht es Spaß. Sie
legen sich abwechselnd auf die Bugwelle und lassen sich schon
mal in lauter Tollheit vom stampfenden Segler auf die Schulter
klopfen. Es sieht aus, als zögen sie uns durch die Morgendämmerung.
Achtern reißt die Sonne die Wolkendecke auf und zirkelt
auf die vor uns liegende Regenfront einen siebenfarbenen fetten
Bogen. Durch diesen fahren, ja schießen wir. Ich tauche
ein in einen seltsamen Nebel, der mich benetzt und trunken macht.
Gänzlich verschleiert er mir die Sicht. Ein jähes Knirschen
folgt und ich werde im hohen Bogen über Bord geworfen. Gott
sei Dank oder der Liebe sei Dank, lande ich neben dir in weichem,
heißem Sand: Um uns weißes, weiches Zwielicht. Als
könne man viele Hundert Meter schauen, doch keineswegs klar.
Wir müssen uns erst einmal sammeln und versammeln uns eng
beieinander
56°19'N;01°09'W
Wir sind also auf der anderen Seite des Meridians: Wir sind im
Westen.
Aus dem Dunst über dem gewohnten Horizont hebt sich eine
Kontur ab. Sollte es das gesuchte Land sein, in dem die Männer
Röcke tragen und von dessen Frauen man nichts weiß?
Von Polinnen, Engländerinnen, natürlich Französinnen
und Irinen hat jeder Mensch ein Bild. Aber auf Schottinnen weiß
man nur Analogieschlüsse zu ziehen. Auf jedem Prospekt sieht
man nur Schotten. Die Schotten sind klug und gewitzt. Sie ziehen
sich Röcke an, um aller Welt Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Wahrscheinlich haben in Schottland die Frauen die Hosen an. Wir
werden sehen. Oder wir irren. Vielleicht zeigen sich hinter den
Ufern dort vorn kleine schlitzäugige Menschen und wir halten
sie nur für Schotten. Mit ähnlichem Irrtum ist ein Kollege
von uns berühmt geworden.
Schottland putzt sich. Der Wind flaute ab, sobald Land in Sicht
war. Und nun tuckern wir auf einer ewig rollenden Welle in den
Firth of Forth. Linker Hand haben wir so etwas wie den Zuckerhut
und in der Mitte des Fjords liegt ein grüner Felsen, mit
einem Leuchtturm gekrönt. Ich lasse seit langem mal wieder
Luft an mein T-Shirt.
Oh, Freitag
Endlich wieder in Sicherheit! Clara (meine Tochter) hat gesagt,
ich solle auf mich aufpassen. Aber die Gefahren waren ungeahnt.
Wir sind hier in einem sehr, sehr fernen und außergewöhnlichen
Land, dem Schottland. Für unsereins ist das nichts. Kaum
betritt man hier die Straße, ja, die gibt es hier auch,
so kommen plötzlich Autos von allen Seiten. Wirklich, von
allen Seiten! Aber meistens immer von der anderen Seite. Ich habe
es lange und ganz gründlich beobachtet, und es schon zu einigen
Fertigkeiten beim Überqueren einfacher, gerader Straßen
gebracht. Aber das Kreuzen jeder Einmündung, geschweige denn
Kreuzung, hat mir immer außerordentlich viel Mühe,
Angst und Schrecken verursacht. Gott sei Dank war Anja immer dabei,
an deren Arm ich Schutz und Trost fand. Jetzt gehe ich nicht noch
einmal hinauf in die Stadt. Hier an Bord fühle ich mich sicher.
Wir näherten uns vorgestern Edinburgh von Granton aus, einer
Vorstadt oder eines Stadtteils. Ein Meer, ein raues Meer von Häusern,
alle aus Sandsteinquadern zusammengefügt. Keltische Giebel,
keltische Schornsteine. Das Relief der Landschaft zwingt die Straßen
sich zu biegen und verleiht ihnen somit etwas Organisches. Die
Häuser sind kalt, grau und tot. Wenn dann aber doch mal was
strahlt, dann sind es die Türen in dunklem Grün, Aquamarin
oder Bordeaux.
Im Zentrum durchbrechen zuerst die Kneipen und Geschäfte
die Uniformität der Häuser, die langsam an Größe
gewinnen. In der zentralsten aller Straßen waren dann die
Häuser wieder klein. In der alten Neustadt hat man Mühe
sich zu orientieren. Auf jeder Kreuzung steht in gleicher Pose
ein wichtiger Mann aus Bronze. Ohne Brille sind sie für mich
alle gleich. Man hangelt sich an den Kneipen und Geschäften
und, was zu betonen ist, an einem grünen Streifen hinauf
in die Altstadt. Für uns Kurzbesucher hat sich kein John
Knox und niemand von den Stuarts gezeigt. Eher Britney Spears
im XXL-Format, und gleich an jeder Ecke. Die schottischen Frauen,
das mussten wir entdecken, sind riesige Chipsbomben, zwei Zentner
scheinen hier normal. Das weiße Fleisch wird mit einem Selbstbewusstsein
getragen und man bemüht sich nicht es unter den knappen Trikotagen
zu verstecken.
So weit der erste Eindruck. Schaut man genauer, nimmt man eine
sehr starke soziale Differenzierung wahr. Eine sehr schmale Oberschicht
- physisch und ihrer Anzahl nach, dann die massige Masse der Billigkostler
und die bunte Gruppe der Touristen. Ach, bunt und farbig sind
natürlich auch die Inder, die auf der Royal Mile zwischen
Edinburgh Castle und dem Palast von Holyrood schottische Folklore
verkaufen.
Anja hat die Stadt gefallen. Ich stieß mich an der so offensichtlichen
Armut, dem Stacheldraht am Hafentor und dem, was André
"Inselsyndrom" nennt. Ob nun Inzucht oder Armut, ich
habe noch nirgendwo so viele gesehen, die an der Nadel hängen
oder Leute in Nadelstreifenanzügen um Kleingeld angehen.
Klingt das arrogant oder absolut, was ich über die Leute
dieser Stadt sage? Wir haben auch interessante Gesichter entdeckt.
Insbesondere im Theater, als wir gestern Hamlet sahen. Eine spannende
Inszenierung. Eine Vorführung der Dekadenz, und zwar die
der Bürger. Statt Robe trugen die Protagonisten Anzug.
Das war nun das Ziel der Reise. Auch wenn ich jetzt noch mal den
Negativbericht lese, ein lohnendes. Edinburgh ist zugleich eine
nordische und eine britische Stadt.
Sonnabend
Wir liegen immer noch im Firth of Forth unter der ehedem längsten
Brücke der Welt, 1890 zusammengenietet. Nicht schön,
doch gigantisch.
Ich schaue in das brackige Wasser des Hafens. Das Schiff hat einen
Tiefgang von 2,1 Metern, das Lot misst 1,3 bis zum Grund. Wir
sitzen im Schlamm, Zauber der Gezeiten. Kraft des Mondes. Der
unsichtbare zog das Wasser weg. In sechs Stunden kommt es wieder.
Zeit für allerhand seltsames Getier nach Nahrung im Schlick
zu suchen. Fast fünf Meter fährt der Steg mit uns auf
und nieder. Für mich bleibt noch ein wenig Zeit mich auf
die Rückfahrt vorzufreuen
.
Edinburgh querab, vor uns die offene See, und wir fahren hinein
in einen extrabreiten Regenbogen
.
Sonntag
Nun habe ich schon so viel über die Tage auf See geschrieben,
aber wie kann ich das Gefühl, das seligmachende Gefühl
beschreiben, das sich beim Segeln einstellt? Besonders tief auf
See, wenn du niemanden siehst, wenn du mit dir und der Welt allein
bist. Du spürst den Atem der Welt, er füllt die Segel
und treibt dich voran. Du spürst den Puls auf dem du schwingst
mit jeder Welle. Das mächtige Meer ist heute in fröhlicher
Stimmung. Sechs Windstärken treiben dreieinhalb Meter hohe
Wellen an. Ich trinke lauwarmen Kaffee nach der 7-10 Uhr-Wache.
Alles schlief, als ich in den Morgen fuhr. Hinter uns sieht man
noch die Gerste der Highlands leuchten. Aus dessen Malz wird guter
Whisky werden. Gestern, das muss ich noch erwähnen, wurden
Anja und ich während unserer 22-01 Uhr-Wache von Edinburgh
mit einem gigantischen Feuerwerk verabschiedet.
Verlegen ich den Finger
in die Locken dreh'
weil ich Dich einfach
vor mir seh'
Im Kerzenlicht
im warmen Schein
ein Bein geschlagen
über's andre Bein
Ein Schatten, Ahnung nur
der Schritt
saugt mich ein
nimmt mich in ferne Welten mit
Edel lang der Arm
verhüllt die Brust
und gerad' die winz'ge Hemmung
weckt die Lust
Dein Hals vom Haar gesäumt
ach, Du
zu spät, ich finde keine Ruh
Und Dein Gesicht
aus dem die liebe
Seele spricht
Traum Du
ein Meer liegt zwischen uns
noch quer
Ein Schein der Morgenröte
ach, wenn es sich mir böte
das Bild real
so wär' nur Freude
was jetzt Seh'n und Qual
Wie Eiswürfel in einem Cocktailbecher schaukeln wir durch
Drei-Viermeterwellen Richtung Osten. Strümpfe stinken und
wenn jemand das Klo leer pumpt, scheint die Luft aus dem Tank
in den Salon zu entweichen.
Skagerrak, Fisher, Dogger Bank waren für mich Begriffe maritimer
Weite. Fast Synonyme für Sehnsucht, Weite, Welt da draußen.
Eine Welt, von der ich dachte, dass sie immer Ahnung bliebe, von
der ich hörte im Seewetterbericht, nachts in der Küche
sitzend, so wie andere von Gott hören im Gottesdienst. Nun
haben wir hier auf der Nordsee all diese Landschaften befahren
von denen der Radiomann zu jeder Tageszeit spricht. Ewige Weiten.
Einige Delfine und einen Netzschlepper haben wir gesehen, sonst
nichts. Hier ist niemand. Mir scheint, der Radiomann hat all die
Jahre mit stoischer Regelmäßigkeit und mit leichten
Variationen "Dogger sechs, Fisher zunehmend fünf, Kattegatt
sieben, Skagerrak sechs" in sein Mikrofon gehaucht, nur um
uns hierher zu locken.
Auf der nördlichen Route war etwas mehr los. Da sahen wir
zu jeder Wache ein bis zwei Fahrzeuge und die Bohrplattformen.
Aber vor der Elbmündung werden wir noch genügend Schiffe
zu sehen bekommen. Ich will aber gar keine Schiffe sehen. Viel
eher diese Einsamkeit, diese Einzigartigkeit, dieses totale zivilisatorische
Vakuum
.
Montag
Wenn man nicht gerade am Ruder steht, was tut man? Draußen
ist der schönste Platz, aber selbst bei strahlender Sonne
genügen drei Stunden, um durchgefroren zu sein. Nass ist
man von der Gischt. Überall an Bord herrscht ein feuchtes
Milieu. Der Appetit ist naja, und beim Lesen bekommt man durch
das Gestampfe Stilaugen. Vom Schreiben ganz zu schweigen, das
ist einfach unmenschlich. Also was tut man? Man ruht. Raus aus
der Wetterkluft, in der das Kondensat der letzten Nacht wabert,
und rein in den Sack. Wieder raus aus dem Sack, rein in die Klamotten.
Raus, rein. Alles nicht mehr rein und frisch. Aber oft liegen
die Dinge eng beieinander. In süßem Schlummer wurde
das, was roch, weil es ja nach einem Sommer riechen musste, duftend.
Weil so vertraut, warm, ein bisschen feucht, ich ging in ihm unter,
er umschloss mich ganz, in ihm wurde ich hin und her geworfen,
bei jeder Welle, bis er mich wieder und wieder gebar - der Schlafsack!
"Wenn ich schlafe, schlafe ich, wenn ich segele, segele ich."
So, oder so ähnlich singt doch Gerhard Schöne. Ist ja
toll, dass er so ist. Der ist toll! Bisher dachte ich ja, dass
ich auch so toll wäre. Auf der Fahrt nach West war ich ja
auch noch toll, war ganz bei mir. Nun aber?
Es kreisen die Sterne
es leuchtet die Gischt
Im Osten noch ferne
erhebt sich ein Licht
Ein Tag noch, mein Hoffen
ich eile zu Dir
die Arme sind offen
und wild ist die Gier
Na, vielleicht ein wenig zu pathetisch? Aber da ich gerade beim
Reimen bin, versuche ich es noch einmal:
Fern sind die Ufer
und rau ist die See
in salziger Gischt
ich am Ufer steh
Was hab ich verloren
was hab ich gesucht
es pfeift in den Ohren
als sei ich verflucht
Das Meer ist nicht eitel
vom Wind aufgerührt
benetzt es mich ständig
hat tief mich gerührt
Wozu will ich es zwingen
es ist nur mein Kampf
das Meer ist erhaben
ich bin voll Krampf
Von hier seh' ich Ufer
die keiner geahnt
ach, hätte man
mich früher gewarnt
Muss wieder hinaus
muss wieder erleben
muss wieder erfahren
Ufern zuzustreben
Oh, das kam wieder nicht ganz ohne Pathos aus. "Reim dich
oder ich fress' dir!"
Himmel und Meer. Der Horizont im goldenen Schnitt. Mehr Himmel
als Meer im Blick. Das Wasser kappelt. Hin und wieder ballt es
sich noch zusammen und strebt unvermittelt vier Meter dem Himmel
zu. 320 sm von Edinburgh gefahren, ca. 110 sm noch bis Cuxhaven.
Man kann eine Reise teilen in Aufbruch, Unterwegssein und Rückkehr.
Im Aufbruch brichst du mit dem Gewohnten, brichst auf. Aber ich
habe erfahren, dass Aufbruch auch Abschied bedeuten kann. Das
Unterwegssein ist das Eigentliche der Reise, das Entdecken. Die
Ankunft ist der Zweck, der die Reise heiligt, schlimmsten Falls
so etwas wie Abhaken. Und nun die Rückkehr, eigentlich der
zweite Teil der Reise, fühlt sich ein bisschen an wie rückwärts
gehen. Aber weil der Aufbruch wie ein Abschied war, verheißt
die Rückkehr eine Ankunft. Verstehst du, die Wiederkehr wurde
zum eigentlichen Ziel.
Der Mond, noch ist er da, jetzt noch zwei Stunden Ruhe, bevor
ich wieder hier stehe um zu sehen wie er untergeht.
Noch immer fünf Windstärken.
Dienstag
In Cuxhaven mit Anja von Bord. Thomas stieg zu und fuhr mit André,
Alex, Ralf und Thomas über den Nord-Ostseekanal und die Dänische
Südsee nach Rostock zurück.
Ich danke André, meinem Skipper, dass ich das erleben durfte.