Tourenbericht

Die Begegnung mit der anderen Art

von Jan

Im Juni 2001 hatte ich die Möglichkeit mit Peter Frentin auf seiner Catarina nach und um Island zu segeln.
Der Wind trieb uns nach Nordwesten an den Rand des Kontinents. Tage und Nächte in Betrachtung von Himmel und Meer versunken, umschifften wir die Insel der Fabelwesen. Sicher leben mehr Elfen und Trolle als Menschen auf dieser Insel die so groß wie Bayern und Baden-Württemberg ist und weniger Einwohner als Berlin-Pankow hat.
Hinter einer Milchwand ragt Backbord die geronnene Lava aus dem Wasser. Wo der kurze Sommer den Schnee schmolz überzieht ein Hauch Grün die Minerale. Seit den Shetlands suchen wir den Horizont in Sehnsucht nach Wesen ab, die uns mindestens so geheimnisvoll erscheinen wie Elfen. In den kalten Tiefen, in diesem unzugänglichen Reich über dessen Himmel wir gleiten, leben unsere engsten Verwandten, Wale.
Wir kennen sie von Bildern, die sie verherrlichen, wir kennen die Aufnahmen Jacques Cousteaus, wir kennen auch Bilder von Walmassakern, gestrandeten Walen, sahen die Mythen Moby Dick (eigentlich Mocha Dick) oder Free Willy. Wir sind voller Erwartung. Vor 60 Millionen Jahren, als die Saugier ausstarben, stiegen paarhufige Säuger ins Wasser. Das Skelett der Wale deutet noch immer auf die Verwandtschaft mit Pferden und Rindern hin, die lebend geborenen Babys sind behaart. Heute zählt man etwa 80 Arten in zehn Familien, alle sind hochspezialisierte Schwimmer, perfekte Taucher mit einem ausgeprägten Sozialverhalten. Wale verständigen sich mit Schnalz-, Grunz-, Schnarch-, Stöhn-, oder Zirplauten. Der Gesang des Buckelwals klingt auch für das menschliche Ohr melodisch.

66°17’N 16°54’W
Der nördliche Horizont war purpurn gefärbt, der südliche silberblau. Unsere Blicke folgten den wenigen Möwen. Fast hatten wir uns damit abgefunden unter uns Menschen allein zu bleiben, als sich das Meer auftat. Ein tiefer schnaufender Atemzug, ein Rücken, lang wie das zweimastige Schiff. Mit scheinbarer Gleichmut verschwand er, wie er gekommen war. Das kein Gleichmut? Dieser tiefe Seufzer verriet ein Wissen um die Welt oder war es gar Geringschätzung der Geschwindigkeit unserer Yacht, Verhöhnung der kleinen nervösen Wesen die da an Deck auf und ab rennen? ‚Ihr Winzlinge, habt wohl noch kein Wal gesehen?’, schien er zu sagen. Und er war nicht allein gekommen. Der Buckelwal gehörte zu einer Schar von acht bis zehn Tieren, die sich mehr und mehr auf uns einließen. Ohne Misstrauen, ‚ruhend in sich selbst’, zogen sie um uns ihre Kreise. Von der Küste her wurden Weißschnauzendelphine auf uns aufmerksam. Halb im Flug, das ist wörtlich gemeint, stürzten sie auf uns zu. Sie quirlten zwischen uns und den Walen das Wasser auf und legten sich abwechselnd auf unsere Bugwelle. Ich versuche lieber nicht meine Gefühle zu beschreiben. Es war für uns alle nicht zu verarbeiten.

Und doch, diese exklusive Begegnung hier, in der Grönlandstraße, stellt wenn nicht sowieso vorhanden, eine Verwandtschaft her. Die Wale und wir, wir haben gemeinsam erlebt. Wir haben sogar miteinander gesprochen. Ich habe sogar ihren Atem gerochen (allerlei Gemüse, etwas vergoren). Aus ihrer verborgenen Welt sind uns „Ihre Majestäten“ so nahe gekommen, gewährten uns kleinen Besuchern eine Audienz. Sie fassten Vertrauen. Vertrauen lässt sich missbrauchen. Zeitgleich mit uns waren auf der andren Seite des Pols die ersten Schiffe der japanischen Walfangflotte ausgelaufen, um im Nordpazifik 160 Wale zu töten. Das sind doppelt so viele wie im Vorjahr. Zum ersten Mal wurde auch wieder dem Pottwal und dem Brydewal nachgestellt. Nordische Völker leben seit 4000 Jahren vom Walfang. Mit Beginn der Kolonialzeit weiteten sich die Jagd und die Vermarktung der Walprodukte von Ambra bis Tran zu einem Industriezweig aus. Den großen Säugern wurde derart nachgestellt, dass 1986 die Internationale Walkommission (IWC) ein Fangverbot aussprach. Dennoch landeten nach wie vor Hunderte von Walen insbesondere in den japanischen Restaurants. Auf dem Schwarzmarkt erzielt man mit Walfleisch horrende Preise. Japan besticht Karibikstaaten für ihre Interessen zustimmen. Die Mongolei ist wohl aus ähnlichen Gründen der IWC beigetreten. Doch noch ist das Kräfteverhältnis nicht zu Gunsten der Walfänger gekippt. Auch die Bundesregierung forderte die Einstellung des Walfanges „zu wissenschaftlichen Zwecken“. Der Bestand an Blauwalen hat sich im 20. Jahrhundert auf ein Zehntel dezimiert. Vom seltenen Grönlandwal wird noch immer jährlich jedes zehnte Tier getötet. Dass sich die Bestände einiger Arten langsam erholen, ruft die Fänger auf den Plan und mit dem Argument, die Wale würden die Fischbestände gefährden, wollen sie erreichen, wieder mit Walfleisch saubres Geld zu verdienen.

Das tiefe Seufzen des Buckelwals, als würde er das alles und noch viel mehr verstehen, gepaart mit diesem naiven Vertrauen, als hätte er die Hoffnungen in seinen Bruder Mensch noch nicht aufgegeben, als wollte er uns beständig etwas zu verstehen geben. Und das tut er, ob nun wissentlich und in einer Absicht oder nicht. Diese Wesen tauchen auf, aus ihrer Welt, um uns Ehrfurcht einzuflößen. Sie sind die Botschafter eines Reiches, das viel größer ist als die Reiche aller Könige und Kanzler zusammen und das wir bekanntermaßen wenig nachhaltig ausbeuten. Der Wal, den ich in aller Ehrfurcht und Vertrautheit nie anrühren würde, wirft aber auch die Frage auf, warum ich Rind (fr)esse, da ich doch mit Kälbchen schmuste und warum Schwein, da mich doch das Ferkel am Hosenbein zupfte.

Am 22. Oktober 2006 wurde, allen Protesten zum Trotz, der erste Finnwal, Opfer des wieder aufgenommenen kommerziellen Walfangs!
Er wurde an der Küste angelandet, vor der wir die Tiere vor fünf Jahren aufgenommen haben. Von dem ursprünglich Bestand von 470.000 Finnwalen, sind schätzungsweise 55.000 übrig geblieben. Deshalb gelten diese Tiere als vom Aussterben bedroht. (Quelle: Wikipedia)

Da wir wiederholt Eisbergwarnung bekamen, setzen wir unsere Reise mit Kurs 280° fort, um uns den mal anzusehen.

Unser Reiseziel war aber eigentlich Island und so sind wir von Reykjavik aus ins Landesinnere gefahren und wanderten am Rande des Mýrdalsjökull.

Eine Reiseimpression in Flash (742 KB).



Fotos: Peter, Katarina, Thomas,
andere und ich